12. Januar 2018
Allen zu spät Geborenen zugeeignet:
Meine Erlebnisse mit der Stasi in OstBerlin und Leipzig 1973 bis 1987
Der Liedermacher Wolfgang Biermann - die Älteren der unter uns mögen sich erinnern - saß bereits nicht mehr in der Chausseestraße 131 und sang zur Gitarre in das Mikrofon seines Grundig Tonbandgeräts, als ich in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts das zweifelhafte Vergnügen hatte, in der Hauptstadt der DDR, also in Ostberlin, an einen sogenannten Mitarbeiter des
Ministeriums für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik
zugeraten.
Sonniger Sonntagmorgen in Leipziz 1984. Foto: Jürgen Mügge-Luttermann |
Die DDR war für uns Studenten im Westen naturgemäß ein geradezu einzigartiges Faszionosum und Paradoxon zugleich. Faszinierend, weil seit über zehn Jahren verborgen hinter einer Mauer eine für die sogenannten Bundesbürger nahezu unsichtbare Existenz führend, paradox andererseits weil diese sogenannte Demokratie sich spätestens mit dem Bau der Mauer in Berlin als das zu erkennen gegeben hatte, was sie war: eine Diktatur. Und zwar nicht die vielbesungene Diktatur des Proletariats sondern eine unterdrückerische und menschenverachtende, geschlossene Veranstaltung der Einheitspartei SED.
Geschlosen und eben auch verschlossen deshalb, weil den unfreiwilligen Teilnehmern - den Bürger der Deutschen Demokratische Republik - nicht gestattet war, mal eben ein wenig draussen frische Luft zu schnappen. Den freien Blick versperrte eine Mauer, das freie Wort wurde verschluckt.
Freiheit kann eben auch die Freiheit von allem sein. Diese sogenannte Freiheit als Abwesenheit von jeglicher individueller Freiheit war die tatsächliche Lebenswirklichkeit für Millionen Menschen in diesem "Arbeiter und Bauernstaat", des "ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden".
Mit Herz und Kopf ansingend gegen die bestehenden Verhältnisse, verschaffte sich der Grosskommunist , Poet und Liedermacher Wolfgang Biermann zuerst in der DDR ein Auftrittsverbot (1965), dann ein modernes Tonbandgerät nebst Senheiser-Mikrofon aus dem Westen, um frech und frei ab sofort in seinem Wohnzimmer gegen die Betonköpfe der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands anzubrüllen.
Diese schönen, trotzigen Lieder, signiert mit der Melancholie des Romantikers, wurden dann zur Freude aller westlicher Sympathisanten von Columbia Records in Vinyl geschnitten. Naturgemäss beim Klassenfeind in der BRD.
Es waren vor allem auch diese freimütigen, unzensierten und bissigen Gedichte, Lieder und diese flamboyante Kritik am real existierenden Sozialismus in der DDR, die in der Studentenschaft der BRD mehr Anhänger inspirierten und mobilisierten als im sozialistischen Osten. Linke Weststudenten und Intellektuelle zog es in Folge magisch in das Deutschland hinter der Mauer , dort Kontakte suchend und knüpfend, die alltägliche Lebenswirklichkeit zu erkunden, ungefiltert das sogenannte wahre Leben dieser geschlossenen Gesellschaft im Alltag, in der Praxis und nicht nur in der rotgefärbten Theorie der verschiedenen Parteigänger kennenzulernen.
Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Wohl war ! Und eingedenk dieser Dialektik vertrieben sich die Jungs von der Staatssicherheit tagtäglich die Zeit damit zu verhindern, dass die leider notorisch unzuverlässigen Arbeiter und Bauern ein falsches Leben führten. Denn was richtig war und was das richtige Leben war, das bestimmte hier die Partei, die immer Recht hatte. Verkehrte Welt, die platte Dialektik der Staatssicherheit. So hatte es Adorno eigentlich nicht gemeint und die grosse Sehnsucht nach dem falschen Leben sorgte nicht nur in der Chausseestrasse 131 für kreativ subversive Umtriebe.
Weimar zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik 1984. Foto: Jürgen Mügge-Luttermann |
Meissener Porzellan
Sich anschloss ein Spaziergang in der Septembersonne Unter den Linden, denn ich suchte hier nun gezielt ein Geburtstagsgeschenk für meine Mutter. Warum nicht aus der Hauptstadt des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates ? Die grossen Schaufenster der offiziellen Verkaufstelle der Meissener Porzellanmanufaktur zogen mich magisch an, etwas zum Unwillen meines unfreiwilligen Fremdenführers: "Meissner darfst Du nicht exportieren, das werden sie Dir sicher an der Grenze wegnehmen". Ich ging trotzdem hinein, er folgte schweren Fusses. "Ich kaufe immer soviele Bücher, da werde ich eine kleine Vase sicher ganz gut verstecken können" erwiderte ich unbesorgt und erstand eine etwa fünfzehn Zentimeter hohe Vase, welche ich besonders sorgfältig und liebevoll verpacken ließ. Sie kostete stolze hundertachtzig Ostmark ! Da ich unerlaubterweise meine Ostmark in Westdeutschland zum Kurs von eins zu sechs eingekauft hatte, zahlte ich also lediglich dreissig Westmark für das gute Stück. Dieser heimliche Devisentransport war damals für einen armen Studenten unerlässlich, wollte er möglichst billig möglichst viele Bücher im Osten einkaufen. Gab ja Klassiker, Kunst und Literatur in Hülle und Fülle ( sogar Arno Schmidt !!!), auch interessante Lizenzausgaben. Und zur Tarnung immer ein paar blaue Bände Marx und Engels obendrauf . Drei Bände Kapital stabilisieren das Regal - und erfreuten den Grenzer. Der arme Student kam glaubhaft rüber, ich fuhr schliesslich R4 ! Glaubhaft rüber kam bei mir auch das Angebot meines treuen Stasi-Begleiters, mir doch lieber die kostbare Vase per Post nachzusenden: "Da kannst Du sicher sein, dass sie auch ankommt ! Die machen doch eh nur Stichproben bei der Post." Dass die Vase sicher ankommen würde glaubte ich ihm naturgemäss sofort . Zehn Tage später war sie da. Die Stasi war in jeder Hinsicht zuverlässig . Meine Mutter war begeistert ! Es folgten mehr oder weniger regelmässige Postkarten bis im darauffolgenden Sommer eine Einladung nach Ostberlin folgte. Er würde sehr gern auch einmal meine Frau kennenlernen und uns zu seinem Geburtstag einladen, es seien ja nur 300 Kilometer von Hannover und so weiter... . Kam ein bisschen plötzlich, diese recht private Einladung, aber wir nahmen an. "Sehr gern" sogar, wie meine Frau hinzusetzte. Sie war in der Tat sehr neugierig auf Ostberlin und die DDR !
Grau und kalt war der März im tristen Zentrum Dresdens 1986. Foto: Jürgen Mügge.Luttermann |
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Ein denkwürdiges Abendessen in den "Zille Stuben"
Die Stasi und die Galerie EigenArt in Leipzig 1986